Diese 13 goldenen Regeln (Vorbeugung Rückfall) haben wir irgendwo entdeckt und glauben, dass jeder einiges davon anwenden kann.
Regel 1: „Das Wichtigste zuerst“
WAS ist das WICHTIGSTE? Für mich ist das meine Trockenheit. Deren Schutz hat für mich zu jedem Zeitpunkt Vorrang! An jedem Ort, zu jeder Gelegenheit lauern Gefahren. Dabei ist es völlig gleich, wie lange ich trocken bin, oder ob ich mich gerade erst entschlossen habe, künftig alkoholfrei zu leben.
Aber auch im Alltag ist mir dieser Satz sehr wichtig geworden. Morgens beim Aufwachen zum Beispiel stelle ich mit Erschrecken fest, welch voller Terminkalender heute auf mich wartet. Wie soll ich das alles an einem einzigen Tag erledigen? Da hilft nur eins: Rotstift und anschauen, welcher Termin ist wichtig und welcher lässt sich ggf. auf einen anderen Tag verschieben. Oft stellt sich so heraus, dass ich viel zu viele Dinge geplant und so unnötigen Druck für mich erzeugt habe. Ich brauche schließlich auch Zeit für MICH!
Regel 2: „Zwischen Gesundheit und Krankheit liegt ein Tropfen“
Diese Regel holt mich auf den Boden der Tatsache zurück, dass ich alkoholkrank bin. Meine Abstinenz ist für mich das Wichtigste und ich kann und will sie nicht wegen eines einzigen Tropfens Alkohol aufs Spiel setzen! Dabei spielt auch die Vorsicht eine große Rolle. So achte ich auch auf versteckten Alkohol in Lebensmitteln, Kosmetikartikeln, Reinigungsmitteln und Medikamenten. Das kann ich leicht auf der Inhaltsliste auf den Verpackungen – vor allem bei Backwaren und Süßwaren – nachlesen. Wenn ich unsicher bin frage ich einfach nach oder greife auf bekannte Produkte zurück.
Auch beim Arztbesuch kann ich Gefahren für mich ausschließen, in dem ich ihn über meine Krankheit informiere. So wird sich dieser bei der Verwendung von Desinfektions- und Betäubungsmitteln sowie beim Einsatz von Medikamenten darauf einstellen. Auch in der Apotheke frage ich gezielt nach alkoholfreien Medikamenten.
Regel 3: „Das erste Glas stehen lassen, dann muss ich das zweite nicht trinken“
Weil ich weiß, dass ich dem Alkohol gegenüber machtlos bin, weiß ich auch, dass ich mich mit einem Glas probehalber nie zufrieden geben werde. Denn nach dem ersten Glas tritt noch nicht die gewünschte Wirkung ein. Unwillkürlich werde ich mir dann ein zweites Glas einschenken. Da mir das erste Glas ja schließlich nicht geschadet hat, wird mir das zweite auch nicht schaden. Auch nicht das dritte, vierte usw. Wenn ich dann eine Wirkung erreicht habe ist der Wille zum Aufhören nicht mehr da. Das alte Drama beginnt von vorne.
Regel 4: „Alkoholkrankheit ist eine Krankheit der Seele, nicht der Kehle“
Alkoholismus ist eine Krankheit. Ich bin nicht schuld an meiner Krankheit. Kein Mensch wünscht sich eine Krankheit.
Jeder kann erkranken. Ich weiß, die Krankheit als solche ist nicht heilbar. Meine einzige Chance ist es zu lernen, mit dieser Krankheit zu leben. Die Krankheit ist nicht, dass ich mehr Durst habe als andere Menschen. Ich trank Alkohol, um meine seelische Befindlichkeit zu verbessern. Doch ich habe erkannt, dass der Alkohol für mich nicht das geeignete Mittel dafür ist.
Regel 5: „Probleme und Sorgen ertrinken nicht im Alkohol
– sie können schwimmen“
Kennst Du den Spruch „Auf den Schreck muss ich erst mal einen trinken!“ oder „Du machst dir zu viele Sorgen – trink erst mal einen und schlaf `ne Nacht darüber …“? Doch am nächsten Morgen ist das Problem immer noch da! Ich kann mich aber jetzt noch nicht um eine Lösung kümmern, da mein Kopf noch brummt. Bevor der Rausch verflogen ist erscheint bereits das nächste Problem: meine Hände zittern. Ohne jetzt etwas zu trinken, kann ich nicht handeln. Nichts zu trinken mehr im Haus, kein Geld für den Nachschub. An den Bankschalter traue ich mich nicht, denn die Angestellte wird mein Zittern bemerken. Mit dem Geld vom Automaten gelange ich endlich zum Supermarkt. Geschafft! Nach den ersten Schlucken bemerke ich vielleicht noch, was ich heute noch so alles verpasst und verbaut habe. Noch `n Schluck. Meine Partnerin kommt nach Hause. Was tue ich, damit sie nichts merkt …
Heute, wo ich trocken bin, kann ich meine Sorgen und Probleme in Ruhe und bei klarem Kopf sortiert analysieren und gegebenenfalls mit Hilfe von Beratungsstellen oder Freunden nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Oft stellt sich dabei heraus, dass ich mir um viele Dinge zu viele Gedanken gemacht habe und die Lösung ganz einfach ist.
Regel 6: „Kleine Brötchen backen“
Sicher habe ich in meiner „nassen“ Vergangenheit vieles vernachlässigt, viele Chancen im Leben durch den Alkoholrausch verpasst. Viele von uns haben durch ihre Krankheit alles verloren, was zu einem „normalen Leben“ gehört.
Nun, da ich jetzt trocken bin, versuche ich einiges nachzuholen. Ich bin mir dabei bewusst, dass ich die Ziele, die ich mir z. B. während meiner Therapie gesetzt habe, nicht von heute auf morgen erreichen kann. Ich stecke mir möglichst realistische Ziele, die ich auch erreichen kann. Stecke ich die Ziele zu hoch, dann ist die Enttäuschung bei Nichterreichen zu groß. Das wiederum bereitet mir unnötigen Stress. Das kann dann ganz schön chaotisch werden!
Mit Hilfe meiner Selbsthilfegruppe und meiner Therapeutin habe ich einen Plan erstellt: Schritt für Schritt sehe ich nun, dass es voran geht. Wenn ich nicht weiter weiß: Meine Grenzen nicht überschreiten! Ich frage nach Hilfe. Ich habe Zeit!
Regel 7: „Die Schwester der Sucht ist die Lüge“
Zum Thema „Lüge“ könnte ich als Alkoholiker sicher ein ganzes Buch schreiben. Du gewiss auch?! Deswegen nehme ich nur weniges davon heraus. Da ich mehrere Selbsthilfegruppen besuche ist mir aufgefallen, dass es bei den meisten üblich ist, die Gruppen mit Befindlichkeitsrunden zu beginnen. Oft höre ich dann den Satz „Mit Alkohol habe ich kein Problem …“. Ich weiß natürlich, dass damit gemeint ist „ich habe im zurückliegenden Zeitraum nicht getrunken …“.
Ich höre aber mal genauer hin: Belüge ich mit diesem Satz nicht die Gruppe und mich selbst? Verleugne ich mit diesen Worten meine Krankheit?
Wie oft habe ich in meiner „nassen“ Zeit diese Worte benutzt, wenn mich jemand gefragt hat „Hast Du was getrunken?“. Das war natürlich immer eine Lüge! Als mich z. B. der Polizist fragte, ob ich Alkohol zu mir genommen habe, erklärte ich ihm „Ja, aber nur ein Bier zum Essen“. Dabei fiel mir der halbvolle Flachmann aus der Jackentasche. Und natürlich zeigte der Alkomat stolze
2,3 Promille!
Ganz ehrlich: Vor allem zum Schluss wusste ich sowieso nicht mehr, wann und wie viel ich getrunken hatte. Oft waren meine Lügen derart verknüpft, dass ich selbst nicht mehr wusste, wem ich was erzählt hatte.
Regel 8: „Gelassenheit“
Diese ist der wichtigsten Regeln überhaupt. Sie bezieht sich auf den Gelassenheitsspruch der Anonymen Alkoholiker:
Gott gebe mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Mit diesem Spruch habe ich viele Dinge während meiner Genesung für mich regeln können. Er findet in vielen Situationen für mich Anwendung. Und auch Trost, wenn die „Trauben“ einmal für mich „zu hoch“ hängen. Ich kann die Welt, die Menschen, die Zeit, die politischen und wirtschaftlichen Probleme, denen mein Leben ausgesetzt ist, nicht verändern. Ich bin nicht Gott. Aber ich kann mir meine Grenzen suchen und den Platz auf dieser Welt, der mich meinem Ziel – der zufriedenen Abstinenz – näher kommen lässt.
Regel 9: „Trocken bleibt, wer dafür dankt“
Nach meiner Therapie habe ich schon einige selbst gesetzte Ziele erreicht. Ich bin stolz darauf! Ich weiß, dass ich das mit Alkohol nie erreicht hätte. Meine Familie steht wieder zu mir, ich habe mir eine schöne kleine Wohnung eingerichtet und viele gute neue Freunde – auch trockene Alkoholiker – gewonnen. Viele Interessen und Hobbys aus meiner Zeit vor der Trinkerei habe ich wieder entdeckt. Da ich trocken bin kann ich meine Freizeit wieder aktiv und sinnvoll ausfüllen. Ich kann wieder jederzeit Termine wahrnehmen ohne die Angst, jemand bemerkt mein Zittern oder riecht meine „Fahne“.
Das Leben ist wieder lebenswert – DANKE Trockenheit!
Regel 10: „Immer dafür sorgen, dass genügend Alkoholfreies zu Hause ist – keinen Durst erleiden“
Habe ich genügend alkoholfreie Getränke im Haus, dann komme ich nicht so schnell auf die Idee, mal schnell in den Supermarkt oder die Kneipe zu gehen. Hier werden mir sicher die Menschen begegnen, mit denen ich früher getrunken habe. Die könnten mich löchern, doch schnell einen mit zu trinken. Gefährlich vor allem dann, wenn ich noch nicht so lange abstinent bin. Denn Alkohol löscht bekanntlich nicht den Durst, er spült nur meine Abstinenz weg!
Regel 11: „Alkoholfreie Zone im Haus“
In meinem Haushalt gibt es keinen Alkohol – meine Gäste haben das zu akzeptieren. Gute Freunde und Verwandte bringen mir diese Akzeptanz entgegen, wenn sie es ehrlich mit mir meinen. Im Handel gibt es ausreichende Angebote an alkoholfreien Getränken. So können jede Menge Fruchtsäfte getestet werden und mit Freunden z. B. aus der Selbsthilfegruppe alkoholfreie Cocktailpartys gefeiert werden. Es gibt tolle Rezepte – deine Freunde kennen gewiss auch welche.
Auch aus einem anderen Grund ist es wichtig, zu Hause eine alkoholfreie Zone zu haben: Saufdruck. So muss ich größeren Aufwand betreiben, um mir Alkohol zu besorgen. In dieser Zeit besinne ich mich eher und suche stattdessen Hilfe bei meinen Freunden von der Selbsthilfegruppe bzw. suche das Gespräch mit meinen Angehörigen. Notfalls gibt es in einigen Städten Suchttelefone, ansonsten hilft die Telefonseelsorge. Reden hilft – Trinken nicht!
Regel 12: „Offenheit und Ehrlichkeit immer“
Offenheit und Ehrlichkeit sind für mich die Grundlage von Therapie und Gruppenarbeit. Gegenseitiges Vertrauen kann nur so erreicht werden. Dazu gehört auch, dass ich meine Fehler zugebe und mich mit Kritiken auseinandersetze. Ich habe in meiner Vergangenheit viel Kraft und Zeit aufwenden müssen um meine Sucht zu verleugnen. Viel weniger Aufwand kostet es mich, offen über meine Probleme zu sprechen – vor allem in meiner Gruppe. Schließlich erwarte ich auch von meinen Freunden ehrliche Antworten auf meine Fragen. Persönlich habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht mit Offenheit – vor allem, was meine Krankheit betrifft – bei Suchtberatungsstellen und z. B. Schuldnerberatung und Arbeitsberatung.
Während eines Praktikums in Weimar – Bestandteil der Nachsorge in einer Suchthilfe-Einrichtung nach meiner Therapie – bekannte ich mich gegenüber meinem Arbeitgeber ehrlich zu meiner Krankheit. So brauchte ich später keine Angst vor unangenehmen Situationen und Fragen haben. Die Kollegen zeigten sehr viel Respekt vor mir und meiner Offenheit. Dies hat mir die Arbeit sehr erleichtert. Sicher ist das von Fall zu Fall anders und jeder muss dies für sich abwägen. Am Wichtigsten ist für mich aber die Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber mir selbst.
Regel 13: „Leben und leben lassen“
Zum abstinenten Leben gehört für mich, die schönen Seiten des Lebens zu genießen. Dazu gehört die aktive Freizeitgestaltung – auch und vor allem Aktivitäten mit den Freunden aus meiner Selbsthilfegruppe. Und nicht zuletzt die wieder erworbene geistige und körperliche Fitness! Meine Freizeitinteressen sind sehr weit gefächert, und dies sehe ich auch als Belohnung für all das an, was ich auf meinem Weg in die Trockenheit erreicht habe. Ich lasse meine Familie und meine Freunde wieder an meinem Leben teilhaben. Ich belohne mich immer öfter selbst einmal für Erreichtes. Ich lasse aber auch anderen Menschen die Möglichkeit, ihr Leben zu leben wie sie es möchten. Abstinenz kann ich niemandem aufzwingen. Je mehr ich meine Abstinenz genießen kann, desto mehr habe ich auch Zufriedenheit für mich erreicht.
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